Auf der Welt leben geschätzte 50 Millionen Tierarten – wie so häufig scheiden sich jedoch auch hier die Geister der Wissenschaftler. Das macht insgesamt ca. 1 Trillionen Tiere, wozu natürlich auch die Insekten zählen. Bis zum Jahr 2021 wurden weltweit alleine 73.577 Arten an Wirbeltieren entdeckt. 15.772 Tierarten galten als gefährdet und standen auf der roten Liste der IUCN (International Union for Conversation of Nature and Nature Resources). Im Jahr 2019 wurden ca. 18.000 Breitmaulnashörner gezählt und etwa 100 Sumatra-Nashörner. Außerdem gab es 2021 rund 800 Tapanuli Orang-Utas, die auf der roten Liste als gefährdet bis stark gefährdet eingestuft werden. Die zunehmende Globalisierung macht auch vor der Tierwelt nicht Halt. In Deutschland gibt es inzwischen ca. über 1.000 gebietsfremde Tierarten, wie zum Beispiel Papageien, Nadus oder gar Flamingos. Nicht alle können in unseren Breitengraden überleben. Über 200 Arten, die Hälfte davon Insekten, scheinen sich jedoch inzwischen dauerhaft angesiedelt zu haben. Und dann wäre da noch eine ganz spezielle „Gattung“, die uns häufig ein ganzes Leben lang auf dem Fuße folgt, die „Heiligen Kühe“.

Meiner Recherche nach lebt so manche Kuh in Indien glücklich und in Freuden, denn im Hinduismus gilt eine heilige Kuh aus kulturell und religiösen Gründen als unantastbares Hausrind. Sie wird mit Respekt behandelt und spendet dem Menschen die fünf heiligen Gaben: Ghee (Butterschmalz), Milch, Mist, Urin und Lasshi (Joghurt). Die Mütter aller Kühe ist bei den Hindus die sog. Wunschkuh oder auch Kamadhenu. Es versteht sich also von selbst, dass es ein absolutes Tabu ist, eine heilige Kuh zu schlachten. Damit erklärt sich auch die Redewendung „eine heilige Kuh schlachten“. Dies bedeutet eine Gegebenheit zu ändern, die bis dahin als absolut unantastbar galt, also ein Tabu zu brechen.

Und nun Hand aufs Herz: Wir alle glauben mehr oder weniger an gewisse Gegebenheiten in unserem Leben, wir haben vielleicht eine Meinung, eine gewisse Perspektive auf die Welt und auf uns. Als Erwachsene haben wir bereits Erfahrungen gesammelt, die mitunter prägend waren. Menschen und Erlebnisse, vielleicht sogar Abenteuer haben Saiten in uns zum Klingen gebracht. Wir haben erfahren, was uns gelingt, was „unser Ding“ ist und was eher weniger. Im Laufe der Jahre und mit ein bisschen Reflexion entsteht eine mehr oder weniger grobe „Gebrauchsanweisung“ über uns selbst, eine Art Landkarte, an der wir uns orientieren können. Zugegeben, dies ist häufig recht praktisch. Aber was, wenn aus Erfahrungen, Überzeugungen und vielleicht auch aus einem Quäntchen Angst richtige Dogmen über uns selbst werden?

Womit wir wieder bei der metaphorischen heiligen Kuh wären. Eine heilige Kuh hat natürlich auch viel Gutes, sie richtet unsere persönliche Komfortzone häuslich ein und schützt uns mit ihrer Limitierung. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass es im Leben Wendepunkte geben kann, an denen man aufgefordert ist, eine oder mehrere heilige Kühe zu schlachten um weiterzukommen und sich nicht länger im Kreis zu drehen. Heilige Kühe können so ziemlich alles sein, von klein bis groß, um ein paar konkrete Beispiele zu nennen: „Wenn die Kinder erst groß sind, kann ich mich beruflich verwirklichen“, „Ich bin nicht beziehungsfähig“, „Diese Farbe steht mir überhaupt nicht“ (was mich persönlich noch nie abgehalten hat), „Ich kann es mir nicht leisten mich zu verändern“, „ich schaffe diese Ausbildung nicht“. Ganz egal ob die heilige Kuh etwas ist, das wir ungeprüft von anderen übernommen haben oder ob wir sie selbst herangefüttert haben, wir reden uns gerne ein, dass uns am Ende nichts mehr bleibt, dass es nur daneben gehen kann, sofern wir uns von ihr trennen. Selbstverständlich kann dies passieren, ebenso besteht aber auch die Möglichkeit, dass wir uns nach einer durchaus unbequemen Zeit tatsächlich weiterentwickeln und das erleben, was wir von Herzen wollen.

Ich erinnere mich noch gut an die langen Monate, in denen ich mich auf meine Prüfung beim Gesundheitsamt vorbereitete. Dem Klischee zum Trotz, ist die Prüfung für Heilpraktiker wirklich anspruchsvoll und die Menge des zu lernenden Stoffes schier gewaltig. Dementsprechend wurde mein ansonsten eher langer Geduldsfaden deutlich kürzer, wie mich mein Umfeld wissen ließ. Man kann es nicht häufig genug betonen: Medizin ist keine exakte Wissenschaft, sondern eine Erfahrungswissenschaft. Es gibt Lehrmeinungen und häufig sogar mehrere, gerne auch mal völlig konträr. Gefühlt ändern sich Lehrmeinungen schon einmal über Nacht und zwar um 360 Grad. Als ich mich genau darüber bei meiner absoluten Lieblingslehrmeisterin beklagte – gäbe es den Titel „Genauwisserin“ sie würde ihn verdienen -, gab sie mir den schlichten aber für mich unglaublich wertvollen Rat einfach „locker im Kopf zu bleiben“ um Medizin und das Leben überhaupt wirklich zu begreifen. Was heute als wahr gilt, kann morgen komplett falsch bzw. überholt sein. Man lebt und lernt.

Ebenso ist es mit unseren ganz eigenen heiligen Kühen und Dogmen. Da niemand eine Insel ist, sehe ich persönlich Sätze wie „Es gibt keine Grenzen außer die, an die du glaubst usw.“ durchaus auch ein wenig kritisch. Aber bevor wir unsere Erfahrungen, Ängste oder Bequemlichkeiten als in Stein gemeißelte Fakten betrachten, die auch in Zukunft so und nicht anders eintreten werden, schadet es nicht sich zu überlegen, ob es nicht vielleicht doch auch einen anderen Weg gibt. Möglicherweise lohnt sich der Versuch eben doch, dies lässt sich am Ehesten durch Ausprobieren herausfinden und wenn es nicht klappt, dann haben wir es wenigstens versucht, gelebt und wieder etwas gelernt.

Es ist nicht unbedingt schön von anderen in Schubladen gesteckt zu werden; die Schublade, die uns jedoch am meisten einengt, die am allerschwierigsten zu öffnen ist, auf die es am Ende ankommt, ist die, in die wir uns selbst stecken – unsere heilige Kuh.

Lange bevor ich mir meine Gedanken zu diesem Thema machte, brachte es Mark Twain mit dem folgenden Zitat einst auf den Punkt:“ In 20 Jahren wirst du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die Dinge, die du getan hast. Also löse die Knoten, laufe aus dem sicheren Hafen. Erfasse die Passatwinde mit deinen Segeln. Erforsche. Träume“.

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