Vier Kräfte beeinflussen die Art, wie wir uns durch das Leben bewegen: was wir unbedingt vermeiden wollen, was wir von Herzen erreichen wollen, was sich verwirklichen will und die Mathematik.
An einem heißen trägen Sommertag saß Alice – die aus dem Wunderland – neben ihrer Schwester am Ufer. Die Schwester las ein Buch, Alice dagegen langweilte sich. Doch plötzlich sah Alice ein weißes Kaninchen mit roten Augen, das eine Uhr aus seiner Westentasche zog und bemerkte, dass es sich sicher verspäten würde. Sie folgte dem Kaninchen in seinen Bau. Dort verlor sie sich mehr und mehr ergebnislos in den Abwegen. Alice @Wonderland 2024 hätte womöglich aus Langeweile zu ihrem Smartphone gegriffen, das weiße Kaninchen gar nicht wahrgenommen und wäre dennoch tief im Rabbit-Hole gelandet. Wie das sein kann? Algorithmen sorgen dafür, dass wir immer weitere Inhalte zum gleichen Thema vorgeschlagen bekommen. Egal worauf aktuell der eigene Fokus liegt, Algorithmen liefern mehr davon und machen damit durchaus auch alles größer. Der sog. Rabbit-Hole-Effekt beschreibt das Phänomen, dass wir uns in der Konsequenz intensiver und ohne Korrektiv von Außen mit einem Thema beschäftigen und uns darin verlieren.
Auch wenn der Begriff Algorithmus heute vielfach in der Informatik verwendet wird, hat er seinen Ursprung in der Mathematik und die Mathematik ist die ältere Disziplin. Ein Algorithmus bezeichnet die Lösung eines Problems mithilfe von fest definierten Regeln. Ein berühmter Mathematiker ist Pythagoas von Samos aus dem antiken Griechenland. Ebenfalls im Team der Griechen sind Klotho, Lachesis und Atropos, die sog. Moiren, alias die Schicksalsgöttinnen. Die Parzen sind übrigens die Schicksalsgöttinnen der römischen Mythologie. Sowohl die Moiren als auch die Parzen spielen mit dem Feuer: sie führen der Überlieferung nach einem Menschen sein unabwendbares (vielleicht auch gerechtes) Schicksal zu. Auch in der Mathematik spielt man gelegentlich gerne mit dem Feuer, damit meine ich die Simulation mit den Unbekannten. Algorithmen beeinflussen unser digitales Verhalten und Erleben in nicht unerheblichen Maßen, sie bestimmen darüber, in welche digitalen Schemata wir gesteckt werden, welchen Menschen wir im Cyberspace begegnen. Zugegeben, der Cyperspace ist nicht der Olymp. Vielleicht ist dies jedoch der Ort, an dem das, was sich verwirklichen möchte, auf die Mathematik trifft.
Apropos Schicksalsgöttinnen. Schicksal wird häufig als eine höhere Macht definiert – sogar im Duden. Eine höhere Macht, die Ereignisse in unserem Leben auslöst und dabei gerne ihren Wingman mit ins Boot holt: den Zufall. Charakteristisch für das Schicksal ist, dass die Ereignisse, die es hervorbringt, außerhalb unserer Verfügungsgewalt liegen. Außerdem hat es viele Gesichter, es kann auf positive oder negative Art in unser Leben eingreifen oder sowohl, als auch – denn im Leben gibt es stets Gesamtpakete. Wenn man also davon ausgeht, dass das Schicksal etwas „von oben“ ist, auf das wir erst mal keinen Einfluss haben, liegt es jedoch nicht zuletzt an uns, wie wir mit dessen Auswirkungen umgehen. Wirklich interessant finde ich, dass wir gar nicht so selten recht krisenerprobt sind und diese mit ein wenig Unterstützung auch meistern; vielleicht nicht immer vollumfänglich elegant, aber am Ende schaffen wir es dann doch einmal mehr den Kopf über Wasser zu halten. Schwerer tun wir uns dagegen gelegentlich mit Chancen, vor allem, wenn sie aus einer anderen Ecke oder in einer anderen Verkleidung daherkommen als wir erwarten. Wenn sich plötzlich eine Tür öffnet, von der wir glaubten, dass sie verschlossen sei, wenn Träume völlig unerwartet zum Greifen nahe sind, dann braucht es manchmal eine Menge Mut, um den Elfmeter tatsächlich zu spielen, sein Glück einfach mal zu versuchen. Warum das so ist?
Unser Nervensystem ist ein „Gewohnheitstier“, es mag Veränderungen nicht unbedingt und hält gerne an Altbewährtem fest. Sicherheit hat hier die oberste Priorität. Es unterscheidet nicht, ob das Altbewährte uns (noch) guttut oder nicht. Häufig ist das Nervensystem ein sehr guter Ratgeber, aber es hat auch das Zeug eine kleine Dramaqueen vor dem Herrn zu sein. Veränderung, auch zum Positiven bedeutet Unsicherheit, zumindest am Anfang. Auch wenn wir vom Kopf her wissen, dass eine Veränderung gut für uns ist, braucht es mitunter Wiederholung, bis sich eine Handlung tatsächlich gut anfühlt. Ein konkretes Beispiel: Das erste Mal vor Publikum zu sprechen, kann sehr aufregend sein und unser Nervensystem meldet Alarm, vielleicht schwitzen wir, die Stimme zittert oder wir werden rot und wollen einfach nur noch weglaufen. Beim zweiten Mal ist es schon ein wenig leichter und mit jeder weiteren Wiederholung wird es besser. Schließlich reißen wir sogar ganz locker spontane Witze vor Publikum oder werden gar zur Rampensau. Was wir daraus lernen? Das Falsche zu tun, kann sich zunächst richtig anfühlen und es kann sich zunächst falsch anfühlen, dass Richtige zu tun. Ob wir den Sprung ins kalte Wasser wagen, etwas riskieren und die Komfortzone verlassen, entscheidet sich nicht zuletzt an der Frage des Sinns, den wir dahinter sehen oder eben nicht. Um im Thema zu bleiben: wenn wir überzeugt sind, dass uns die Fähigkeit vor Publikum zu sprechen den entscheidenden Schritt auf der Karriereleiter ermöglicht, den wir uns von Herzen wünschen, dann sind wir viel eher bereit in den sauren Apfel des Anfangs zu beißen.
Und Apropos Sinn in etwas sehen. Was wäre, wenn es nicht „nur“ so etwas wie das Schicksal gibt, sondern auch Vorhersehung, vielleicht eine Art Lebensplan?
Zum ersten Mal stieß ich als Teenager auf dieses Thema. Eine Freundin und gläubige Muslimin erzählte mir vom Kismet – ich glaube wir sprachen damals übers Heiraten, unter weiblichen Teenagern kommt dies gelegentlich vor. Der islamische Glaube geht u. a. davon aus, dass jeder Mensch sein eigenes, ihm vorherbestimmtes Schicksal hat. Eine Art Lebensplan, der erfüllt werden möchte und auf der Stirn des Menschen geschrieben steht. Beschäftigt man sich mit den traditionellen Heillehren oder mit Spiritualität, stößt man früher oder später auf sehr ähnliche Ansätze. Gemeinsam ist allen, dass der Lebensplan bereits vor der Geburt festgelegt ist. Von der spirituellen Perspektive aus betrachtet, legt dieser Plan fest, welche Lektionen wir zu lernen haben, was wir in die Welt tragen, in welche Kultur und Familie wir hineingeboren werden, welchen Menschen, wir begegnen, im Guten wie im Schlechten. Kurzum: all das, was sich verwirklich möchte in unserem Leben, was wir vermeiden möchten und unsere Herzenswünsche. All das, was uns immer wieder einholt, egal wie weit wir auch weglaufen. Ist der Glaube an eine Art Vorherbestimmung nicht ein wenig antiquiert und oder gar naiv? Ich persönliche sehe das nicht so, im Gegenteil: dieser kann die Wende einleiten und den Unterschied machen, wie wir Ereignisse einordnen, ob wir unseren Frieden mit etwas machen oder gar daran zerbrechen. Ob wir in Folge einer Diagnose den Kopf in den Sand stecken oder ob dies der Moment ist, indem wir begreifen, wie kostbar Lebenszeit ist, und dass niemanden und wirklich niemanden „irgendwann“ oder „später“ unbegrenzt zur Verfügung stehen.
Jeder darf für sich selbst beurteilen, ob es nun so etwas wie den Lebensplan, Schicksal oder Vorhersehung tatsächlich gibt oder all das was geschieht vielmehr eine logische Kette von Ereignissen mit gelegentlichen Zufällen und Algorithmen, die uns leiten, ist.
Aber wer weiß? Vielleicht ist das Schicksal oder die Vorhersehung die Kraft, welche die Quelle Deines Bauchgefühls ist. Die Dich instinktiv vorsichtig bei einem Menschen sein lässt, die Dich warnt: Achtung bitte, da stimmt etwas nicht! Die Kraft, die mit mathematischer Präzession dafür sorgt, dass Du zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort bist, damit Du einem Menschen wieder begegnest. Die Kraft, die Dich allen Misserfolgen, Widrigkeiten und Widerständen zum Trotz antreibt, glauben und hoffen lässt, ganz egal, wie oft Du schon auf die Nase gefallen und wie alt Du bist. Die Kraft, die Hintertüren für Dich öffnet und Deine Träume doch noch wahr werden lässt, genau dann, wenn die Lösung Deiner Probleme nach fest definierten Regeln nicht mehr funktioniert. Sie bringt in die vielen festgefahrenen Konstanten Deines Lebens Variable und Unbekannte, so dass die Gleichung Deines Lebens am Ende doch noch aufgeht.
Die Kraft, die Dich tief im Inneren begreifen lässt, dass es stets weiter geht, wenn Du nur aufstehst und Dein Krönchen richtest. Die Kraft, die all Deine Hoffnung und eine gewisse Unerschütterlichkeit hervorbringt, dank derer Du wirklich niemals und niemals wirklich aufgibst.